Donnerstag, 19. Januar 2017

(m/k)eine Zeit

Es geht nicht um die Zeit an sich, es geht nicht darum, ob wir sie haben. Niemand besitzt sie einfach so, die Zeit. Du musst sie dir nehmen, nicht danach fragen, darum bitten, flehen, betteln – nimm sie dir einfach. Es geht nicht um die Zeit an sich, es geht nicht darum, ob wir sie brauchen. Alle brauchen Zeit, immer. Du musst sie auch wollen, weißt du? Wirklich wollen, danach streben, dich nach ihr sehnen.

Und plötzlich hast du sie, jemand gibt dir Zeit, unerwartet, ich gebe sie dir. Und was machst du dann? Mit diesem kostbaren Gut, das dir geschenkt wurde? Du musst sie nutzen, nutze die Zeit! Das sagen sie, alle. Nutze sie weise! Verschwende sie nicht! Da stehst du jetzt, mit der Zeit in deinen Händen, und dem Druck. Dem Druck, sie auch richtig zu nutzen, das Beste rauszuholen, Gewinnmaximierung, lass sie nicht verrinnen, nicht ungenutzt!

Und während du so darüber nachdenkst, was du jetzt anstellst mit deinem Geschenk, mit der Zeit, verrinnt sie. Oder? Du hast gar keinen Zeitplan mehr, keinen tickenden Zeiger, der wie ein drohender Finger hin und her wackelt und dich daran erinnert, wie viel du noch nicht erreicht hast und dass du sowieso nie schnell genug bist. Und das stresst dich! Jetzt weißt du nicht mehr, ob du vorne mit dabei bist, ob die anderen genauso langsam sind wie du, wie viel Zeit dir noch bleibt, um all das zu machen, was du machen solltest.
Und während du so dastehst und nach dem Ticken in dir suchst, fast ein bisschen verzweifelt – wo ist mein Ticken? – schau ich dich an. Und für mich bleibt die Zeit stehen.
Und während du so dastehst und dann plötzlich losrennst, um die geschenkte Zeit irgendwie zu nutzen, vielleicht indem du Kreise drehst oder im Viereck läufst oder Zickzack schlägst, schau ich dir hinterher. Und ich frage mich, ganz leise, wieso du mich nicht angeschaut hast, dich nicht bedankt hast für das Geschenk, es nicht erkannt hast, mich nicht gesehen hast.


Und ich warte. Bis du sie dir wirklich nimmst, sie wirklich willst, die Zeit. Für mich, vielleicht.  

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