Enero
Ich
verschiebe die Dinge in meinem Kopf, in Schubladen, mit kleinen
Etiketten darauf.
Schubladen
herausziehen: manche klemmen ein bisschen, manche gehen gar nicht
mehr richtig zu, vollgestopft, andere sind fast leer.
Herzensangelegenheiten,
To-do-Listen von vor drei Jahren, bittersüße Erinnerungen,
Trostpflaster, getrocknete Blumen, alte Briefe, fast vergessene Worte
ganz hinten vergraben. Neue Schubladen, mit neuen Erfahrungen und
Urkunden, die mir Erreichtes bescheinigen: „Herzlichen Glückwunsch,
du hast eine fast perfekte Tortilla hinbekommen!“ „Gratuliere, du
hast einen Vortrag auf spanisch gehalten!“ Ärgerliche Memos an
mich selbst, zusammengeknüllt: „Schreib endlich diese Hausarbeit
fertig, statt Netflix zu schauen!“ „Hör auf, alles auf morgen zu
verschieben!“
Geordnet
ist eigentlich nichts in diesen Schubladen, ein gesundes
Durcheinander, bei jedem Schritt und jedem Blick etwas Neues. Auf dem
Etikett meiner Lieblingsschublade steht „heute“. Meine
zweitliebste ist aber die, auf der „morgen“ steht. Die ist immer
ein bisschen zu voll, aber diese Hausarbeit hat noch Platz, zum
Glück.
"Ziele"
ist eine andere Schublade, die öffne ich nur vorsichtig. Ein Café
eröffnen, steht auf einem Zettel - in feinster Schnürchenschrift
und mit Herzchen und Blümchen verziert. Das wäre schön! Die ganze
Welt sehen! Einen gesunden Schlafrhythmus haben? Weniger rauchen?
Machen, worauf ich Lust habe! Jeden Tag, mindestens einen Monat lang.
Dieses Stück Papier krame ich immer dann heraus, wenn ich einen Tag
vertrödelt habe, weil ich mir bis mittags einrede, dass ich gleich
anfange mit lernen und mir nachmittags sage, dass ich nur kurz etwas
esse und mich abends davon überzeuge, dass ich nur noch einen Kaffee
trinke und dann weitermache - und schon ist der Tag vorbei. Dann
streiche ich das kleine Papier glatt, drehe es um und füge einen
Strich hinzu. Jeder Strich ist ein vertrödelter Tag. Jeder Punkt ist
ein machen-worauf-ich-Lust-habe-Tag! Zu wenig Punkte, denke ich mir.
Und dann denke ich mir: Morgen. Und irgendwann werden die Punkte die
Striche bedecken, denke ich mir, kurz vor dem Einschlafen.
Nimm
mich nicht zu ernst, mit meinen doch abgedroschenen Phrasen und
Groschenromanweisheiten. Aber so fühle ich mich gerade - in diesem
Moment - irgendwo zwischen Nostalgie und Zukunftsfreude, irgendwie
auf Pause gedrückt. Wie festgehalten - in diesem Moment. Und
trotzdem geht die Sonne in den nächsten Momenten unter, obwohl sie
mir vorhin noch warm ins Gesicht geschienen hat.
Febrero
Diese
Hausarbeit habe ich inzwischen geschrieben und abgegeben. Ich habe
auch alle meine Klausuren geschrieben, und Uni habe ich auch nicht
mehr, das Semester ist zu Ende. Vielleicht ist es Zeit, ein Fazit zu
ziehen, einen Schluss zu formulieren, eine Zusammenfassung. Aber ich
kann nicht – ich finde keine abschließenden Worte, keine
Schlussformeln, keine romantischen, abgedroschenen Phrasen, die die
letzten Monate zusammenfassen könnten.
Seit einer Woche ist jeder
meiner Tage ein machen-worauf-ich-Lust-habe-Tag! Und jeder dieser
Tage ist auch ein Sevilla-Tag weniger.
"Wie
war's in Spanien, Nina?", wirst du mich vielleicht fragen. Kann
ich dir nicht sagen. Ich könnte dir sagen: "Es war gut, toll,
wunderbar, manchmal auch traurig, langweilig, nervig, manchmal
überraschend, aufregend, spannend." Und schon dieses "war",
diese Vergangenheitsform macht mich traurig.
Ich
habe immer wieder versucht, mir auszumalen, was ich auf diese simple
Frage antworten könnte – und bin auf keine befriedigende Antwort
gekommen. Zu viel ist passiert, es passt nicht in Worte. Nichts
Weltbewegendes, nichts Dramatisches, nichts wirklich Unerwartetes.
Oder vielleicht doch? So viele kleine Dinge, Momente, Fragmente. Wie
dieses mit halb geschlossenen Augen in die Sonne schauen, die nervige
Spotify-Werbung auf Spanisch, der Chor aus der Kirche neben meinem
Haus an Samstagabenden, das selbstverständliche Bier am
Freitagmittag, der Kioskmann und die Früchteladenfrau, die Wäsche,
die ich schon wieder zum Trocknen auf der Dachterrasse aufhängen
kann, die hübschen Fliesen unten an den kleinen Balkonen vor den
Fenstern der Häuser, die Menschen, die sich abends in der Bar an der
Ecke treffen und gemeinsam Flamenco spielen, singen und tanzen –
und einfach alles.
Das
alles zusammen ergibt dieses wohlige Gefühl, das ich unbedingt
mitnehmen möchte. Ich habe ein bisschen Angst, dass es verblasst,
sobald ich weg bin. Überlagert wird von neuen, alten Dingen,
Momenten und Fragmenten. Aber darum geht es im Leben, oder? Diese
Balance zu halten zwischen den Dingen, die man sich beibehalten will,
nicht vergessen will, die nach und nach Teil deines persönlichen
Fundaments werden - und zwischen der Möglichkeit, immer wieder neue
Dinge, Momente und Fragmente zu erleben und wahrzunehmen. Diese
gesunde Nostalgie vermischt mit unbändiger Neugier auf die Zukunft -
und die Gewissheit, dass das einzige was zählt, dieser Moment ist,
den du gerade lebst.