Montag, 15. Februar 2016

Enero, Febrero

Enero

Ich verschiebe die Dinge in meinem Kopf, in Schubladen, mit kleinen Etiketten darauf.

Schubladen herausziehen: manche klemmen ein bisschen, manche gehen gar nicht mehr richtig zu, vollgestopft, andere sind fast leer. 
Herzensangelegenheiten, To-do-Listen von vor drei Jahren, bittersüße Erinnerungen, Trostpflaster, getrocknete Blumen, alte Briefe, fast vergessene Worte ganz hinten vergraben. Neue Schubladen, mit neuen Erfahrungen und Urkunden, die mir Erreichtes bescheinigen: „Herzlichen Glückwunsch, du hast eine fast perfekte Tortilla hinbekommen!“ „Gratuliere, du hast einen Vortrag auf spanisch gehalten!“ Ärgerliche Memos an mich selbst, zusammengeknüllt: „Schreib endlich diese Hausarbeit fertig, statt Netflix zu schauen!“ „Hör auf, alles auf morgen zu verschieben!“

Geordnet ist eigentlich nichts in diesen Schubladen, ein gesundes Durcheinander, bei jedem Schritt und jedem Blick etwas Neues. Auf dem Etikett meiner Lieblingsschublade steht „heute“. Meine zweitliebste ist aber die, auf der „morgen“ steht. Die ist immer ein bisschen zu voll, aber diese Hausarbeit hat noch Platz, zum Glück.

"Ziele" ist eine andere Schublade, die öffne ich nur vorsichtig. Ein Café eröffnen, steht auf einem Zettel - in feinster Schnürchenschrift und mit Herzchen und Blümchen verziert. Das wäre schön! Die ganze Welt sehen! Einen gesunden Schlafrhythmus haben? Weniger rauchen? Machen, worauf ich Lust habe! Jeden Tag, mindestens einen Monat lang. Dieses Stück Papier krame ich immer dann heraus, wenn ich einen Tag vertrödelt habe, weil ich mir bis mittags einrede, dass ich gleich anfange mit lernen und mir nachmittags sage, dass ich nur kurz etwas esse und mich abends davon überzeuge, dass ich nur noch einen Kaffee trinke und dann weitermache - und schon ist der Tag vorbei. Dann streiche ich das kleine Papier glatt, drehe es um und füge einen Strich hinzu. Jeder Strich ist ein vertrödelter Tag. Jeder Punkt ist ein machen-worauf-ich-Lust-habe-Tag! Zu wenig Punkte, denke ich mir. Und dann denke ich mir: Morgen. Und irgendwann werden die Punkte die Striche bedecken, denke ich mir, kurz vor dem Einschlafen.
Nimm mich nicht zu ernst, mit meinen doch abgedroschenen Phrasen und Groschenromanweisheiten. Aber so fühle ich mich gerade - in diesem Moment - irgendwo zwischen Nostalgie und Zukunftsfreude, irgendwie auf Pause gedrückt. Wie festgehalten - in diesem Moment. Und trotzdem geht die Sonne in den nächsten Momenten unter, obwohl sie mir vorhin noch warm ins Gesicht geschienen hat.

Febrero


Diese Hausarbeit habe ich inzwischen geschrieben und abgegeben. Ich habe auch alle meine Klausuren geschrieben, und Uni habe ich auch nicht mehr, das Semester ist zu Ende. Vielleicht ist es Zeit, ein Fazit zu ziehen, einen Schluss zu formulieren, eine Zusammenfassung. Aber ich kann nicht – ich finde keine abschließenden Worte, keine Schlussformeln, keine romantischen, abgedroschenen Phrasen, die die letzten Monate zusammenfassen könnten.
Seit einer Woche ist jeder meiner Tage ein machen-worauf-ich-Lust-habe-Tag! Und jeder dieser Tage ist auch ein Sevilla-Tag weniger.

"Wie war's in Spanien, Nina?", wirst du mich vielleicht fragen. Kann ich dir nicht sagen. Ich könnte dir sagen: "Es war gut, toll, wunderbar, manchmal auch traurig, langweilig, nervig, manchmal überraschend, aufregend, spannend." Und schon dieses "war", diese Vergangenheitsform macht mich traurig.


Ich habe immer wieder versucht, mir auszumalen, was ich auf diese simple Frage antworten könnte – und bin auf keine befriedigende Antwort gekommen. Zu viel ist passiert, es passt nicht in Worte. Nichts Weltbewegendes, nichts Dramatisches, nichts wirklich Unerwartetes. Oder vielleicht doch? So viele kleine Dinge, Momente, Fragmente. Wie dieses mit halb geschlossenen Augen in die Sonne schauen, die nervige Spotify-Werbung auf Spanisch, der Chor aus der Kirche neben meinem Haus an Samstagabenden, das selbstverständliche Bier am Freitagmittag, der Kioskmann und die Früchteladenfrau, die Wäsche, die ich schon wieder zum Trocknen auf der Dachterrasse aufhängen kann, die hübschen Fliesen unten an den kleinen Balkonen vor den Fenstern der Häuser, die Menschen, die sich abends in der Bar an der Ecke treffen und gemeinsam Flamenco spielen, singen und tanzen – und einfach alles. 

Das alles zusammen ergibt dieses wohlige Gefühl, das ich unbedingt mitnehmen möchte. Ich habe ein bisschen Angst, dass es verblasst, sobald ich weg bin. Überlagert wird von neuen, alten Dingen, Momenten und Fragmenten. Aber darum geht es im Leben, oder? Diese Balance zu halten zwischen den Dingen, die man sich beibehalten will, nicht vergessen will, die nach und nach Teil deines persönlichen Fundaments werden - und zwischen der Möglichkeit, immer wieder neue Dinge, Momente und Fragmente zu erleben und wahrzunehmen. Diese gesunde Nostalgie vermischt mit unbändiger Neugier auf die Zukunft - und die Gewissheit, dass das einzige was zählt, dieser Moment ist, den du gerade lebst.