Freitag, 27. Juni 2014

No pasar

Wieder so ein Wendepunkt. Punkt. Einmal um sich selbst drehen, ein- und wieder ausatmen. Wo warst du, wo bist du, wo willst du hin? Diese Fragen mit Orten, Koordinaten zu beantworten, wäre noch die leichteste Variante.
Noch einmal drehen, in den Himmel schauen. Was siehst du? Blau, weiß, Wattewolken, die am Horizont grauer werden und zusammenwachsen zu einem Wattewolkenheer in grauer Uniform. Ist das die Zukunft da hinten? Oder ist sie gleich hier, beginnt mit dem nächsten Einatmen? Wer hat das überhaupt erfunden, die Zeit? Wer hat gesagt, dass noch etwas anderes existiert außer dem Jetzt? Diesem Punkt, an dem du gerade bist?
Wendepunkt. Dreh dich.


"No pasar". Nicht weitergehen, im Jetzt bleiben. 

Freitag, 30. Mai 2014

Hier und Jetzt

Ein Monat bleibt mir noch, bleibt mir noch hier, bleibe ich noch hier.

Hier in meinem schönen zweiten Zuhause, mit meinem Zimmer und der gemütlichen Küche, die ich so liebgewonnen habe. Mit meiner zweiten Familie, die sich für mich wirklich so anfühlt. Mit meinem "kleinen Bruder", dank dem ich jetzt sogar manchmal das Tor treffe, wenn wir Fußball spielen. 

Hier in Madrid, der Stadt mit den wunderschönen Gebäuden, kleinen Straßen, gemütlichen Cafés und schattigen Plätzen. Die Stadt, die ich noch lange nicht gut genug erkundet habe, noch lange nicht alles entdeckt habe. Und doch liegen überall verstreut meine Lieblingsorte, Erinnerungen. Erinnerungen an ein fast ganzes Jahr hier.

All das "hier" wird bald "dort" sein, und all das "jetzt" wird bald nur noch "damals" sein.

Aber dieses "hier und jetzt", das mir noch bleibt, einen Monat lang, werde ich genießen. 
In vollen Zügen, mit einem Lächeln auf den Lippen.

Und mit genau diesem Lächeln werde ich von hier nach dort gehen, in einem Monat. 

Sonntag, 20. April 2014

Meer im April

Durch die offene Balkontür das Meer rauschen hören, zwei Minuten zum Strand laufen, viel zu viele leckere Dinge essen, Sand an den Füßen und Salz in den Haaren spüren - das war für zehn Tage mein süßes, süßes Leben.
Ich durfte mit meiner Freundin und deren Gastfamilie wundervolle Tage am spanischen Mittelmeer verbringen und einfach nur die Zeit genießen. 
Jetzt bin ich wieder zuhause, ein bisschen rotbraun und ein bisschen zu faul, um meine Wäsche zu waschen. 

Das war das erste Mal, dass ich Ostern nicht gefeiert habe oder zumindest ein Oster-Gefühl hatte. Normalerweise bin ich an Ostern aber auch Ski fahren und nicht am Meer - logisch, dass sich da nicht dasselbe Gefühl einstellt. 
In Spanien werden keine Ostereier gesucht, und in einzelnen Supermärkten hoppeln zwar ein paar goldene Lindt-Schokohasen umher, aber von den Tonnen Ostersüßigkeiten und -dekorationen wie man sie aus Deutschland kennt, keine Spur. Meinen Ostersonntag habe ich heute also großteils auf spanischen Autobahnen verbracht, den Kopf ans Fenster gelehnt und die Landschaft bewundert. Dass ich keine Ostersüßigkeiten zur Hand hatte, tat mir gut, die spanischen Familien haben einfach ein anderes Verhältnis zum Essen, ganz besonders zu adäquaten Portionsgrößen. Und ein Nein zu noch mehr Essen wird selten akzeptiert.

Dieses Nichtstun der letzten Woche hat mich aber auch ungeduldig gemacht. Noch zweieinhalb Monate lebe ich hier in Madrid, Rückflug ist schon gebucht - aber danach? 
Ein paar Dinge sind geplant, andere lassen sich noch nicht wirklich planen. Wohnung finden, aufs Studium bewerben, endlich anfangen. Ich fühle mich, als würde ich auf der Stelle treten. Als klebte ein Kaugummi an meiner Schuhsohle fest - eklig rosa - und ich versuche mit komischen Verrenkungen loszukommen, aber es geht nicht, noch nicht. Andererseits habe ich Angst davor, was passiert, wenn ich den Kaugummi endlich loswerde. Dann kann ich weitergehen - aber in welche Richtung? Und was ist, wenn der Berg zu steil ist, den ich erklimmen will, steinig - uff, zu viel Xavier Naidoo hier.

Im Moment hält mich noch der eklige rosa Kaugummi und solange genieße ich Madrid und den Sommer - wenn der Kaugummi sich langsam löst, befasse ich mich wieder mit steinigen und schweren Wegen. 

Frohe Ostern!

Donnerstag, 27. März 2014

Inspiración heißt wörtlich übersetzt "das Einatmen".

Ein völlig neues Gefühl, im Zimmer zu sitzen und von natürlichem Licht beschienen zu werden. Ein Fenster im Zimmer, das ist nur eines der Dinge, die sich für mich geändert haben, seit ich in meiner neuen Familie bin. Auch geändert hat sich, dass ich wertgeschätzt werde, dass ich ein "Gracias" höre, wenn ich die Spülmaschine ausräume oder beim Tisch decken helfe. Ich fühle mich so zuhause, wie schon lange nicht mehr, eigentlich wie seit sechs Monaten "y pico" nicht mehr.  So lange bin ich nämlich schon hier in Madrid. Das Gegenteil von "y pico" ist übrigens "y mucho". Aber "mucho tiempo" bleibt mir hier gar nicht mehr, in drei Monaten werden wieder Koffer gepackt.
Ich mag noch gar nicht daran denken. Durch das daran denken vergeht die Zeit nur noch schneller.

Ich fühle mich so wohl, dass ich sogar in alte Gewohnheiten von zuhause zurückfalle:
Neulich habe ich Ricardo, dem achtjährigen Jungen, dessen Au Pair ich jetzt bin, ein Stückchen seines gekochten Eis vom Teller geklaut. Aus Spaß natürlich, ich habe einfach vergessen, dass er gar nicht mein richtiger kleiner Bruder ist, dass ich ihm nicht einfach Essen klauen kann, wie meine Schwestern und ich es untereinander tun.
Dafür hat Ricardo dann den ganzen Morgen nicht mehr mit mir geredet - zum Glück war das bis jetzt unser einziger Streit und der war am Abend auch schon überwunden.

Pünktlich zum Frühlingsanfang habe ich meine Haare in den Farbtopf gehalten und trage seitdem orangerot auf meinem Kopf - die Sonne und die warmen Temperaturen habe ich damit wohl aus Madrid vertrieben. Wind und Regen, so lautet die Prognose seit Tagen.

Mein neues Lieblingslied ist darum mein Mantra: "I need sunshine" und bei dem kleinsten Sonnenstrahl wird die Sonnenbrille ausgepackt, aufgesetzt. Auf den Sommer!









Freitag, 21. Februar 2014

Paradiesvogel

Ich war nie diejenige, die etwas verändert hat. Vielleicht aus Neugier - ich war neugierig, wie ich wohl mit kurzen Haaren aussehe. Ich war neugierig, wie es wohl ist, in Spanien zu leben.
Ich war aber nie diejenige, die etwas verändert hat, weil es notwendig war, weil es sein musste.
Weil ich nicht mehr glücklich war.
Ich habe Tennis gespielt, seit ich sechs Jahre alt bin, nicht weil ich gut darin war oder weil es mir besonders viel Spaß gemacht hat - nur weil ich einmal damit angefangen habe und das eben weiter tue, weil es einfacher ist, als mir zu überlegen, was mir wirklich Spaß machen würde.
So war ich.
Jetzt bin ich aber zu derjenigen geworden, die etwas verändert. Ich wechsle meine Gastfamilie, weil es sein muss. Weil ich glücklicher sein will. Ich bin nicht unglücklich, nein. Ich weiß nur, dass ich glücklicher sein kann.
Das ist wie beim Tennis. Mit Volleyball wäre ich sicher glücklicher geworden.
Ab jetzt muss ich nicht mehr im Konjunktiv von großen Veränderungen erzählen.

A propos Veränderungen: Meine Ansicht über Kurztrips hat sich auch verändert, seit wir letztes Wochenende für 16 Stunden und ein Konzert nach Berlin flogen. Hat sich gelohnt, jederzeit wieder! Das heißt, sobald sich unsere Geldbeutel wie von Zauberhand wieder aufgefüllt haben.

Der größte Wunsch eines jeden Au Paris: ein Goldesel im Zimmer, der in regelmäßigen Abständen Geld in deinen Geldbeutel scheißt. Natürlich ohne den Gestank und den Gedanken, der bei Eseln in Zimmern eben aufkommt: "Warum liegt hier eigentlich Stroh?"
Es muss auch nicht unbedingt ein Esel sein, ein Schmetterling wäre süß. Oder ein Paradiesvogel.



Montag, 20. Januar 2014

Geschenke materieller und (was ist nochmal das Gegenteil von materiell - immateriell vielleicht) Art

6. Januar

Das ist hier der Tag, an dem die Kinder die richtige Bescherung erleben, die großen Geschenke bekommen. Am 24. Dezember gibt es meist nur Kleinigkeiten und der Tag wird mit der Familie verbracht. Victoria hat am 6. Januar zehn nicht gerade kleine Geschenke bekommen. Die zehn Geschenke waren der Größe nach gestapelt, von T-Shirt über Barbiepuppe, Massagefußbad bis zu einem Modestudio mit kleiner Nähmaschine. Ich war baff, ehrlich gesagt. 
"Los Reyes Magos" - die heiligen drei Könige - haben aber auch mir etwas mitgebracht: superbequeme Hausschuhe und einen schönen Schal.
Nach der Bescherung gab es dann Frühstück: einen "Roscón", das ist ein Dreikönigskuchen, der mit süßer Sahne gefüllt, mit gezuckerten Früchten verziert ist und in dem eine kleine Figur versteckt ist. Ich konnte davon beim besten Willen nur ein winziges Stück essen, obwohl mir die Yaya (ein Kosename für Großmutter) mehr aufzwingen wollte - es war einfach zu süß. 

18. und 19. Januar

Letztes Wochenende waren Caro und ich in Cuenca, einer kleinen Stadt zwei Autobusstunden entfernt von Madrid, die für ihre "Casas colgadas" (hängende Häuser) bekannt ist. Wir sind uns aber immer noch nicht sicher, ob wir diese Häuser wirklich gefunden haben. Denn was wir gefunden haben, sah bei weitem nicht so eindrucksvoll aus, wie auf den Bildern, die man im Internet findet. Vielleicht lag das aber auch an dem Regen, der den Himmel grau werden lassen hat und in dem alles wie mit trübem Filter versehen aussah. Die wenigen Sonnenstrahlen am Sonntag haben wir dafür umso mehr genossen und sind durch winzige Gässchen mit bunten Häusern und eindrucksvollen Kirchen geschlendert. 
Die Frage bleibt jedoch: Ist unser Spanisch einfach nicht ausreichend dafür, Schilder zu lesen und berühmte Sehenswürdigkeiten dann auch zu sehen oder sind die Casas colgadas doch nicht ganz so besonders, wie sie aus der Ferne bzw. aus dem Internet schienen?

Das Schöne an einem Wochenendtrip ist aber auch, einfach mal weg zu sein, weg vom Alltag - hin zu etwas Neuem, egal wie besonders oder eben doch nicht es sei. 
Die Chance zu haben, im Hotelzimmer auf dem Boden Abend zu essen, stilvoll mit Baguette, Käse, Schinken, Oliven,Tomate frito und Tetrapak-Wein (gemixt mit Cola, weil sonst ungenießbar) vom Supermarkt gleich nebenan - und diese Chance auch zu nutzen. Durch eine Stadt zu schlendern und die Sonne zu genießen, ohne daran zu denken, dass in ein paar Stunden das Kind beschäftigt werden will und seine Hausaufgaben natürlich nicht machen will - all das ein wenig in die Ferne rücken zu können. 

Cuenca hat sich auf jeden Fall gelohnt. Nicht so sehr wegen Cuenca an sich, sondern wegen all dem anderen, was einen Trip so ausmacht. Das war mein Dreiköngigsgeschenk an mich selbst. 



 wahrscheinlich legendäre Häuser, dahinter
 und ich weine ein Venedig
 Abfälle



 Den Lügner beißt der Löwe
 Inter peritura vivimus - wir leben zwischen Untergehendem

Magnolien vielleicht, auf jeden Fall Frühling 




Donnerstag, 2. Januar 2014

Feiertage

Ich wollte unbedingt über Weihnachten und Silvester nach Hause fliegen und mit meiner Familie und meinen Freunden feiern.

Schlussendlich war ich nur vom 21. bis zum 26. Dezember zuhause, weil meine Familie hier mich den Rest der Zeit gebraucht hat. 
Also habe ich meine Tage so gut genutzt, wie es nur ging, habe all die Dinge gemacht, die ich so vermisst habe. 
Ich konnte endlich wieder zu gutem Electro tanzen, habe Käsebrote gegessen, in meinem herrlich großen Bett geschlafen, mit meinen Mädels gemütlich gebruncht, bin die alten Wege gegangen und habe einfach die Zeit mit all meinen Lieben genossen. 
Im Nachhinein denke ich, dass die wenigen Tage perfekt waren - und auch der Abschied ist mir nicht sehr schwergefallen. Ich bin nicht richtig zuhause angekommen, ich war immer darauf fixiert, so viele tolle Dinge wie möglich in die Tage zu stopfen und immer war mir bewusst, dass ich im Urlaub bin, dass ich danach wieder nachhause zurückkehre, nicht dass ich von zuhause woanders hingehe. Verrückt, zwei Zuhause zu haben.

Silvester habe ich hier in Madrid verbracht. Wir haben, wie es sich gehört, auf der Puerta del Sol zu den zwölf Glockenschlägen unsere Trauben gegessen - ich war irgendwie schon nach zehn Glockenschlägen fertig, besser zu früh als zu spät. 
Wenn man es nämlich nicht schafft, seine zwölf Trauben zu essen, bei jedem Glockenschlag eine, bringt das Unglück. Hoffentlich habe ich jetzt superviel Glück, weil ich ja sogar schon vor der Zeit fertig war. 

Ich habe für das neue Jahr meine Vorsätze auf ein Blatt Papier geschrieben. Dieses Blatt Papier habe ich in der Tasche meiner Jeans vergessen, die ich gerade gewaschen habe. Meine ganze Wäsche ist jetzt weiß gesprenkelt und meine guten Vorsätze wurden schon am zweiten Tag des Jahres zunichte gemacht.
Vielleicht bringt es doch auch Unglück, mit seinen Trauben schon vor dem letzten Glockenschlag fertig zu sein.